Analoge Rechenmaschinen: Abstrakte, physikalische Modelle (Henner Schneider, Fb Informatik, FH Darmstadt) Analoge Rechengeräte basieren auf physikalischen Effekten, deren methematische Darstellung eine analoge Form zu der gegeben Aufgabenstellung hat. Beispielsweise können translatorische und rotatorische mechanische Bewegungen zur Darstellung von Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, aber auch zur Darstellung weit komplizierterer mathematischer Funktionen verwendet werden. Auch elektrische Schaltungen können als physikalische Modelle entsprechender mathematischer Funktionen dienen. a) Die Anfänge Funktionsskalen: Auf vielerlei Geräten wurden Skalen angebracht, die Funktionen analoger physikalischer Größen zeigten, z.B. gab die Skala auf dem Behälter der Wasseruhr die beim Auslaufen des Wassers verstrichene Zeit an. Auch wurden Meßlatten zum Messen von Längen, aber auch zum Messen von Flächen der Bodenfläche von Fässern oder des Rauminhaltes verwendet. Proportionalzirkel: Eines der einfachsten analogen Rechenhilfsmittel ist der Proportionalzirkel. Er ist auf der Vorderseite des Ende 1991 von der Deutschen Bundesbank ausgegebenen 50 DM-Scheins neben dem Architekten, Artilleristen und Baumeister des Spätbarock Balthasar Neumann (1687 - 1753) abgebildet. Ihm kann aber die Entwicklung dieses Instruments nicht zugeschrieben werden, denn es war schon früher bekannt. Jacob Leupold schreibt die Entwicklung des Proportionalzirkels dem Kasseler Astronomen Jost Bürgi (28.2.1552 31.1.1632) zu und datiert die Entstehung vor 1603. Offenbar war das Bürgi zugeschriebene Instrument aber ein Reduktionszirkel, der zur Multiplikation mit einem festen Faktor für die Maßstabsumrechnung dient. Leupold weist jedoch darauf hin, daß ein ähnliches Instrument von dem italienischen Mathematiker, Physiker und Astronomen Galileo Galilei (1564 - 1642) um 1607 beschrieben wurde. Das Original des Proportionalzirkels von Galilei befindet sich in Florenz. Auf den Proportionalzirkeln waren lineare, quadratische, kubische Skalen und auch Sinusskalen angebracht. Damit konnten die entsprechenden Funktionswerte abgelesen werden. Mit dem Proportionalzirkel konnte unter Zuhilfenahme eines Stechzirkels auch gerechnet werden. Die Basis dazu bildeten die Proportionalsätze der Mathematik, die auch die Multiplikation und die Division darzustellen erlauben. Rechenschieber: Die Erfindung der Logarithmen durch Jost Bürgi um 1588 und unabhängig davon im Jahr 1614 durch den schottischen Mathematiker John Napier (lat. Neper), Laird of Merchiston (1550 - 1617) erlaubte die Multiplikation durch die Addition von Logarithmen durchzuführen und damit erheblich zu vereinfachen. Darauf basierte die Verwendung von Logarithmentafeln, die erstmals 1617 von dem englischen Astronomen und Mathematiker Henry Briggs (1561 - 1630) veröffentlicht wurden. Ausgehend von Arbeiten des englischen Mathe1 matikers William Gunter (1581 - 1626) aus dem Jahr 1620 entwickelte der Mathematiker William Oughtred (1574 - 1660) in England den ersten Rechenschieber mit logarithmischen Skalen zum Multiplizieren. Der Rechenschieber stellte bis in unser Jahrhundert das wohl meistgebrauchte Rechenhilfsmittel dar. Es wurden viele Varianten des einfachen Rechenschiebers entwickelt, um insbesondere durch Verlängerung der Skalen genauer rechnen zu können. Die praktischen Erfordernisse des Ingenieurs hatte besonders Alwin Walther (1898 - 1967) im Sinn, als er 1934 den später als "System Darmstadt" bezeichneten Rechenschieber entwickelte, der sich wegen seiner zweckmäßigen Skalenanordnung besonders bei Ingenieuren großer Beliebtheit erfreute. b) Zeichnen und Messen von Kurven Zeichengeräte: Schon im Altertum wurden Lineal und Zirkel als Hilfsmittel zum Zeichnen Geometrischer Figuren eingesetzt. Im Laufe der Zeit wurden weitere Hilfsmittel für Zeichenaufgaben entwickelt. Beispielsweise der von Scheiner 1603 entwickelte Pantograph (Storchenschnabel) wurde zur maßstäblichen Vergrößerung und Verkleinerung eingesetzt. Auch wurden Zeichenhilfsmittel für spezielle Kurven, wie z.B. Ellipsographen (Ellipsenzirkel) entwickelt. Ein wichtiges Hilfsmittel stellten die Geräte zur Kreisteilung dar, die man z.B. zur Herstellung von Zahnrädern benötigt. Koordinatographen: Beispielsweise dienten Koordinatographen zum punktweisen Zeichnen und Ausmessen von Kurven. Sie wurden als Kartiergeräte eingesetzt, die aus einem waagrechten Abszissenlineal und darauf verschieblichen senkrechten Ordinatenlineal bestanden. Auch als Polarkoordinatographen wurden entsprechende Geräte zur Handhabung von Polarkoordinaten mittels Winkel und Radius verwendet. Meßrädchen und Kurvenmesser: Für die Längenmessung beliebig geformter Strecken, z.B. auf Landkarten, werden mit Meßrädchen eingesetzt. Dabei wird die Drehung des Rädchens, das über die zu messende Strecke rollt über ein Getriebe auf einen Zeiger übertragen, der auf einer maßstäblichen Skala die zurückgelegte Strecke anzeigt. Bis heute verwenden Wanderer dieses Hilfsmittel gerne. Zur Erhöhung der Genauigkeit wurden Geräte gebaut, die eine präzisere Nachführung auf der Kurve erlaubten, z.B. wurden Lupen eingebaut. c) Ermittlung von Flächen Neben der Behandlung von Kurven benötigt die Geometrie und ihre Anwendungen auch die Ermittlung von Flächeninhalte krummlinig begrenzter Figuren. Ein einfaches Hilfsmittel zur Flächenbestimmung ist das Quadratnetz, das durch Auszählen der von der Fläche bedeckten Quadrate eine grobe Flächenbestimmung erlaubt. Doch ist dieses Verfahren recht langwierig und ungenau. Daher wurden bessere mechanische Hilfsmittel zur Flächenbestimmung entwikkelt. Planimeter: Durch Umfahren einer Fläche entlang ihrer Umrandung kann durch geeignete mechanische Anordnungen die Fläche bestimmt werden. Das Grundprinzip besteht darin, die Fläche durch mechanische Integration und Subtraktion von Teilflächen zu bestimmen. Dabei 2 kann die Integration entlang einer linearen Achse (Linearplanimeter), entlang einer kreisförmigen Achse oder in Polarkoordinaten (Polarplanimeter) erfolgen. Entsprechend wurden Geräte unterschiedlicher Konstruktion entwickelt. Zum Umfahren der Fläche dienen wiederum Rädchen, die beispielsweise in nur einer Richtung rollen und in einer anderen Richtung gleiten. Integraphen: Das Prinzip der Flächenmessung führt zur allgemeineren Aufgabe der Integration, um die Integralkurve zu einer gegebenen Funktion darstellen. Solche Geräte wurden in verschiedenen Konstruktionen realisiert. Sie bilden auch die Basis von Geräten zur Lösung von Differentialgleichungen, wie Analogrechnern. d) Spezielle Analogrechner Harmonische Analysatoren und Synthesatoren: Erste mechanische Geräte zur harmonischen Analyse nach der von Jean-Baptiste-Joseph de Fourier (21.3.1768 - 16.5.1830) angegebenen Reihendarstellung periodischer Funktionen mittels Sinus- beziehungsweise Kosinusfunktionen entwickelte William Thomson, späterer Lord Kelvin of Largs (1824 - 1907) im Jahr 1876 ausgehend von den von seinem Bruder James Thomson erfundenen Anordnugen aus Scheibe, Kugel und Zylinder. Mechanische Fourier-Integratoren wurden ebenfalls von Lord Kelvin gebaut. Sie basierten auf mechanischen Sinustrieben, deren einzelne Amplituden über ein Band aufsummiert wurden. Große Geräte dieser Art dienten weltweit als sogenannte Tidenrechner zur Vorausberechnung von Ebbe und Flut an den Küsten. In Deutschland gab es drei solche Geräte. Das älteste aus der Zeit des ersten Weltkrieges befindet sich heute im Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven. Es wurde 1915 bis 1916 in den "Werkstätten für wissenschaftliche Instrumente Toepfer & Sohn" in Potsdam nach Angaben von Prof. Kühnen hergestellt. Es hat 20 Tidengetriebe. Das größte aus der Zeit des zweiten Weltkrieges stammende Gerät wird vom Deutschen Museum in München in der Wasserbauabteilung aufbewahrt. Diese Maschine wurde 1935 bis 1938 bei der Firma "Mechanoptik, Aude und Reipert" in Potsdam-Babelsberg nach Plänen von Rauschenbach gebaut. Darin werden 62 Teiltiden verwendet, die mit einem 38 m langen Metallband aus einer temperaturstabilen Speziallegierung summiert werden. Das Gerät ist 7,5 m lang, 2 m hoch und ca. 7 t schwer. Es ist die größte Gezeitenrechenmaschine der Welt. Ein drittes Gerät wurde in der DDR gebaut und stand in Rostock. Es wurde 1952 bis 1955 bei "VEB Lokomotivbau Karl Marx" und "VEB Geräte- und Reglerwerke Teltow, Werk III, Feinmechanik" in Babelsberg gebaut. Es wurden 34 Teiltiden über ein 22 m langes Band summiert. Das Gerät mißt 5,4 x 1,1 x 2,2 m und wiegt 8 t. Weltweit wurden bis 1955 insgesamt 25 Gezeitenrechenmaschinen nach diesem Prinzip gebaut. Heute werden die Rechnungen auf Digitalrechnern mit der Methode der Finiten Elemente durchgeführt. e) Universelle Analogrechner Mechanische Analogrechner: Eine erste universell einsetzbare mechanische Integrieranlage baute Vannevar Bush (1890 - 1974) im Jahr 1931 am MIT in Boston, USA. Die Anlage erreichte eine Genauigkeit von 0,03 bis 0,1 Prozent für einen vollständigen Integrator. Die Maschine bestand aus 6 bis 14 Reibradintegratoren, Drehmomentverstärkern, Additions- und Multiplikationsgetrieben sowie Koordinatentischen für Ein- und Ausgabe und einem zentralem 3 Antrieb. Mit dieser Anlage wurden vorwiegend ballistische Rechnungen durchgeführt (Schießkurven). Die mechanische Programmierung war sehr zeitraubend (2 bis 3 Tage). Daher wurde die mechanische Verbindung der Integratoren 1942 von Bush und Caldwell durch "elektrische Wellen" ersetzt (Winkelgeber und Servomotoren). Die Programmierung erfolgte nun über ein Relais- und Koppelfeld, das von Lochstreifen gesteuert wurde. Ebenso wurden die Skalengetriebe eingestellt. Die Maschine bestand aus 2000 Röhren, 150 Motoren und wog ca. 100 t. Auch in Deutschland wurden mechanische Integrieranlagen entwickelt. Die Askaniawerke in Berlin bauten in den Jahren 1940 - 1942 derartige Geräte nach dem Reibradprinzip. Die Firma Ott in Kempten baute 1941 - 1944 mit Prof. Alwin Walther von der TH Darmstadt und dessen Mitarbeiter W. de Beauclair Geräte nach dem Schneidenradprinzip. Solche Geräte wurden von Prof. Walther auch am IPM (Institut für praktische Mathematik) in Darmstadt eingesetzt. Spezielle Integrieranlagen wurden für viele Zwecke gebaut. Die ersten derartigen Geräte waren Fahrdiagraphen für die Berechnung der Fahrzeit und Geschwindigkeit von Eisenbahnzügen als Funktion des Streckenprofils, der Zugkraft der Lok und des Zuggewichts. Ein derartiges Gerät wurde 1957 von Conzen-Ott gebaut und bis ca. 1978 von der Bundesbahn eingesetzt. Während des zweiten Weltkrieges wurden ähnliche Gräte als Feuerleitsysteme auf Kriegsschiffen verwendet Elektische Analogrechner: Mit der Entwicklung elektronischer Verstärker auf der Basis der Elektronenröhren und später der Transistoren wurde die Konstruktion rein elektronischer Analogrechner möglich. Mit solchen elektronischen Schaltungen lassen sich Summierer, Integratoren, Differentiatoren, Multiplizierer und Funktionsgeber mit guter Genauigkeit realisieren. Die Programmierung ist relativ einfach, da nur elektrische Leitungen zu schalten beziehungsweise zu stecken sind. Erste solche Rechner wurden 1936 von George A. Philbrick entwickelt. Ab den 50-er Jahren wurden die Geräte industriell eingesetzt und immer weiter verbessert. Das hauptsächliche Einsatzgebiet war dabei die Lösung von Differentialgleichungen. Die Bedeutung der Analogrechner mit der Zunahme der Leistungsfähigkeit der Digitalrechner ab Ende der 60-er Jahre wieder zurück. Heute wird die Simulation analoger Vorgänge auf dem Digitalrechner betrieben. Elektronische Analogrechner in Deutschland: Bei der Raketenentwicklung in Peenemünde unter Wernher von Braun während des zweiten Weltkrieges wurden auch die von Helmut Hoelzer (* 27.2.1912) entwickelten elelktronischen Analogrechner verwendet, die auf Röhrentechnik basierten. H. Hoelzer hatte als Student (1931 - 1939) bei Alwin Walter an der TH Darmstadt von der Bush-Integrieranlage Kenntnis erlangt. Nach kurzer Tätigkeit im Forschungslabor der Firma Telefunken arbeitete er ab 1939 in Peenemünde an Fragen der Raketensteuerung und entwickelte dabei elektronische Rechenschaltungen für regelungstechnische Zwecke. Daraus entstand 1939 der erste elektronische Analogrechner, der elektronische Elemente als Modelle der mechanischen Größen verwendete. Helmut Hoelzer promovierte 1946 mit dem Thema "Anwendung elektrischer Netzwerke zur Lösung von Differentialgleichungen und zur Stabilisierung von Regelvorgängen" bei Prof. Alwin Walther an der TH Darmstadt. Wie Wernher von Braun ging auch H. Hoelzer nach dem Krieg in die USA und arbeitete dort u.a. an dem Mondlandeprogramm der NASA mit (1969). 4 In Deutschland förderte die DFG (Deutsch Forschungs-Gemeinschaft) die Entwicklung eines elektronischen Analogrechners in Darmstadt ab 1954. Friedrich Wilhelm Gundlach und Kollegen entwickelten den elektronischen Analogrechner ELRAD, der später am IPM bei Prof. Alwin Walther betrieben wurde (1957). Die Firma Telefunken begann 1956 mit der industriellen Entwicklung von elektronischen Analogrechnern. Ab 1957 wurden solche Geräte produziert. Weitere Hersteller folgten, so insbesondere Schoppe & Faeser. Die Genauigkeit der Geräte war gut und wurde durch den Einsatz der Transistortechnik noch verbessert. Weiterführende Literatur: 1. Leupold, Jacob: Theatrum Arithmetico-Geometricum, Das ist: Schau-Platz der Rechen- und Meß-Kunst. Leipzig: Christoph Zunkel, 1727. 2. Meyer zur Capellen, W.: Instrumentelle Mathematik für den Ingenieur. Essen: Verlag W. Girardet, 1952. 3. Willers, Adolf: Mathematische Instrumente. München, Berlin: Oldenbourg, 1943. 4. Horn, Walter: Die astronomischen Grundlagen des harmonischen Verfahrens zur Berechnung der Gezeiten. Wilhelmshaven: Marineobservatorium, 1941 (Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums. Bd. 61, Nr. 8). 5. Thorade, Hermann: Ebbe und Flut. Ihre Entstehung und ihre Wandlungen. Berlin: Springer, 1941. 6. Defant, Albert: Ebbe und Flut des Meeres, der Atmosphäre und der Erdfeste. Berlin, Göttingen, Heidelberg: Springer, 1953 (Verständliche Wissenschaft. Bd. 49). 7. Sager, Günther: Gezeitenvoraussagen und Gezeitenrechenmaschinen. Warnemünde: Seehydrographischer Dienst - Hydrometereologisches Institut, DDR, 1955. 5